Mit ihren historischen Fachwerkhäusern gehört die Marienstraße wohl zu den schönsten Gassen Flensburgs. In strahlenden Gelb-, Blau- und Rottönen erinnern die Gebäude entlang der schmalen Pflastersteinstraße ein wenig an Puppenhäuser. Betritt man den Hof von Hausnummer sechs, weht dem Besucher ein leicht süßlicher, würziger Duft in die Nase. „Heute mischen wir unseren Vanille-Rum“, erklärt Martin Johannsen, der hier in vierter Generation das beliebte Getränk aus der Karibik herstellt. Er ist der Chef des Rumhauses Johannsen, welches sich seit 108 Jahren in dem mehr als 300 Jahre alten Kaufmannsspeicher befindet.
Wenn das karibische Gold hier in der Flensburger Marienburg ankommt, hat es nicht nur eine lange Reise, sondern auch mindestens sechs Jahre Reifezeit hinter sich. Der gelernte Tischler, der vor mehr als 20 Jahren seine Leidenschaft für Rum zum Beruf gemacht hat, kauft verschiedene Rum-Sorten in Jamaika ein, mischt diese nach traditioneller Methode zu neuen harmonischen Kreationen. Danach lässt er sie noch mal einige weitere Jahre in Eichenholzfässern lagern. „Hier werden die Destillate dann verheiratet“, erklärt Johannsen. Das bedeutet, dass sich die Aromen richtig entfalten können. Der Rum wird weicher, leichter, runder und bekommt seinen einzigartigen Geschmack.
Schon sein Urgroßvater hat hier vor mehr als 140 Jahren Rum verkauft – 2008 übernahm Martin Johannsen die Geschäfte. Als Andreas Heinrich Johannsen die Firma 1878 gründete, florierte der Handel mit dem begehrten Getränk. Im 20. Jahrhundert soll es bis zu 200 Rumhäuser in Flensburg gegeben haben. Doch nach und nach wurden diese aufgekauft und verschwanden. Das Rumhaus Johannsen blieb. „Wir wollten schon immer unsere Eigenständigkeit bewahren – und so konnten wir uns bis heute behaupten.“ Heute ist Johannsen Rum neben dem Wein- und Rumhaus Braasch sowie einigen jungen Rumherstellern das älteste aktive Rumhaus Flensburgs. Mit Ehefrau Astrid führt Martin Johannsen die Geschäfte. Jeden Monat produzieren sie rund 2500 Liter Rum.
Rum hat Tradition in Flensburg
Nicht nur das Bier hat eine lange Tradition in der Fördestadt. Für karibischen Rum ist Flensburg mindestens genauso bekannt. Aber woher kommt diese ungewöhnliche Verbindung? Die Geschichte des Flensburger Rums beginnt im 18. Jahrhundert mit dem regen Handel von Bedarfsmaterialien wie zum Beispiel Ziegelsteinen in die Karibik. Damals gehörte Flensburg noch zum dänischen Königreich und der Hafen der Fördestadt war größer und bedeutender als der Kopenhagens. Die Kapitäne segelten die lange Strecke von Flensburg in die Südsee, um dort gute Geschäfte mit dem Baumaterial zu machen. Damit sie nicht ohne Fracht den Rückweg antreten mussten, nahmen sie neben Baumwolle und Zucker auch das karibische Gold in Fässern mit. Das aus Zuckerohr gewonnene Getränk kam bei den Flensburgern gut an. Daher schützte das Kaiserreich 1885 die eigene Produktion von Alkohol – wie zum Beispiel Korn – durch das Reichsmonopolgesetz für das karibische Gold. Doch mit einer geschickten Idee konnten die Seeleute die Begrenzung umgehen: Sie ließen ein besonderes Rumkonzentrat, den German Flavored Rum, in der Karibik herstellen. Dieses enthielt deutlich mehr Geschmacksstoffe als der klassische Rum und war deshalb zunächst ungenießbar. Zurück in Flensburg ließen die Fabrikanten das Konzentrat wiederum strecken – und zwar mit neutralem Agraralkohol und Wasser. So konnten doch wieder größere Mengen an Rum in der Fördestadt verkauft werden. Auf diese Weise ist der ganz besondere Flensburger Rum entstanden – bekannt unter den Namen „Flensburger Rum-Verschnitt“.
Noch heute wird der Großteil des Rums bei den Johannsens auf diese Weise produziert. Böse Zungen sprechen davon, dass dieser Verschnitt-Rum eine mindere Qualität habe, als der sogenannte „Echte Rum“. „Leider ist das Wort negativ behaftet. Dabei hat unser Verschnitt-Rum eine hervorragende Qualität – besser als so manch anderer Rum“, sagt Johannsen. Nicht nur bei der Herstellung des Rums setzt er auf Tradition. Viele Arbeitsschritte werden in der Marienburg noch immer in echter Handarbeit gemacht. So kleben Johannsen und sein Team die Etiketten auf die windschief hergestellte Flasche der „Windstärke 13“ – ein leichter, weicher Jamaika-Rum-Verschnitt – noch in mühevoller Kleinstarbeit selbst auf. Auch das rote Siegel der „Flensburg Edition“ wird von Hand erhitzt und aufgebracht. „Bevor eine unserer Flaschen das Haus verlässt, hatten wir sie bestimmt fünf Mal in der Hand“, sagt Johannsen. Die „Windstärke 13“ gehöre zu den beliebtesten der insgesamt zehn Rumsorten, die es bei den Johannsens gibt. Er eignet sich besonders gut für winterlichen Grog.
Dieser Bericht ist zuerst erschienen im Magazin LandGang im Oktober 2020.
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