Keine Familientreffen, keine Partys, keine Reisen. Dafür Kurzarbeit, Kontaktbeschränkungen und Lockdown. Doch das vergangene Jahr schaffte auch Freiräume – zum Beispiel für neue Ideen und kreative Konzepte. Vielleicht die Gelegenheit, das eigene Business endlich umzusetzen? Für einige Schleswig-Holsteiner war das Jahr 2020 nicht nur von der Pandemie bestimmt, sondern vor allem von einem: Den Traum vom eigenen Unternehmen zu verwirklichen.
La Nordisch Vita aus Kappeln an der Schlei
Nach zehn Jahren Agenturleben in Mönchengladbach kündigte Janine Skroblin im vergangenen Jahr ihren sicheren Job, um in Schleswig-Holstein neu durchzustarten – genauer gesagt in Kappeln. Mit ihrer Tochter ging es für die alleinerziehende Mutter im März an die Schlei. Doch dann kam das Virus und ihren neuen Marketingjob konnte sie erst einmal nicht antreten. „Aufgrund der wirtschaftlichen Lage wurde ich auf null Prozent gesetzt. Das war erstmal ein ordentlicher Dämpfer“, erinnert sie sich. Zurückgehen war für die 35-Jährige allerdings keine Option. „Trotz aller Umstände habe ich keine Sekunde lang daran gezweifelt, ob es die richtige Entscheidung war, hierher zu kommen.“
Sie nutzte also die Gelegenheit, sich ihre neue Heimat genauer anzusehen. Mit ihrer Kamera im Gepäck ging es auf Entdeckungstour – entlang der Kappelner Hafenpromenade, nach Schleimünde, zur Mühle Amanda oder in die Geltinger Birk. Dabei herausgekommen sind nicht nur wunderbare Erinnerungen, sondern auch zahlreiche Fotos. Doch daraus etwas mehr zu machen, als diese nur an die Wand zu hängen, kam Janine Skroblin nicht sofort in den Sinn. Erst, als sie sich auf der Suche nach einer schönen Postkarte begab, um diese in ihre Heimat zu schicken, stellte sie fest: „So richtig tolle Postkarten gibt es von Kappeln gar nicht.“ Also beschloss die gelernte Grafikdesignerin, die ungewollte Freizeit zu nutzen und eine eigenen Postkartenkollektion für Kappeln auf die Beine zu stellen.
Gemeinsam mit den Kappelner Werkstätten setzte sie in nur wenigen Wochen die Idee um. Sie lieferte die Bilder, Sprüche und Illustrationen. Die Werkstätten wiederum kümmerten sich um Druck und Verkauf. Inzwischen fertigt Janine Skroblin unter ihrem neu gegründeten Label La Nordisch Vita nicht nur Postkarten. Tassen und Poster kamen hinzu – Demnächst soll auch Kleidung folgen. Und inzwischen ist die 35-Jährige nicht mehr alleine. Freundin und Geschäftspartnerin Sarah Hollaender unterstützt sie bei allem, was mit Zahlen zu tun hat. „Es ist alles schnell so groß geworden – Ich kann es selber noch kaum glauben. Aber ich bin überzeugt: Das sollte alles so sein. Ohne Corona würde es ´La Nordisch Vita´ nicht geben und ich bin so froh über dieses wahnsinnig tolle Projekt und die Menschen, die sich alle mit viel Herzblut daran beteiligen.“ Ihre Festanstellung ist Janine Skroblin in Teilzeit angetreten – Doch ihr Label will sie in diesem Jahr weiter voranbringen und auch weitere Orte in Schleswig-Holstein aus dem Postkarten-Dornröschenschlaf holen.
my first spoon aus Flensburg
Auch die Flensburgerin Teresa Wischnewski und ihre Freundin Julia Magenau haben eine Lücke gefunden und das Jahr 2020 gut genutzt. Im Gegensatz zu der „La Nordisch Vita“-Gründerin hatte Wischnewski mit Beginn des Lockdowns in ihren Tourismusbüros, die sie gemeinsam mit ihrem Ehemann leitet, mehr als genug zu tun. Etliche Kundenanfragen, Reisen stornieren, Gelder zurückzahlen: „Das war schon eine echt harte und belastende Zeit. Sechsstellige Beträge zu stornieren steckt man nicht so einfach weg“, so die Flensburgerin. Dabei hätte sie auch das ein oder andere Tränchen vergossen. Ihrer Freundin Julia Magenau, die in Bayern lebt und dort ein Kompetenzzentrum für Eltern ins Leben gerufen hat, ging es ähnlich. Die beiden Frauen brauchten im Frühjahr etwas, was ihnen wieder Freude bereitet und sie aus dem Tief herausholt. Und da war doch schon lange diese Idee mit den Löffeln zur Geburt. Das Konzept von „my first spoon“ stand eigentlich schon seit Ende 2019. Name, Logo und Co. waren schon da. Jetzt musste es nur noch in die Tat umgesetzt werden. Die Idee: hochwertige Silberlöffel mit individueller Gravur als Geschenk zu Geburt oder Taufe zu verkaufen. „In diesen bewegenden Zeiten wollten wir etwas Beständiges schaffen. Unser Leben ist voll von Veränderung – im Moment scheinbar mehr als sonst. Nur eines bleibt für immer gleich: unsere Geburtsdaten.“
„Uns hat my first spoon gedanklich oben gehalten. Es hat uns beflügelt und wieder neuen Mut gegeben“, erzählt Teresa Wischnewski. Denn gerade diese Ohnmacht und die Dinge nicht selbst steuern zu können, habe sie im letzten Jahr besonders belastet. Mit ihrem neuen Projekt hatte sie das Steuerrad wieder selber übernommen.
Doch das Gründen in Corona-Zeiten bringe noch einmal ganz andere Herausforderungen mit sich. Ein Bankkonto eröffnen ohne direkten Kontakt mit einem Mitarbeiter? Ein Gewerbeanmelden, ohne in ein Büro zu kommen? Doch die beiden Frauen haben die Hürden gemeistert – Mitte April ging ihr Shop online. „Für Regenbogen malen hatten wir keine Zeit, weil wir all unsere Energie in unser Baby gesteckt haben“, so Wischnewski. Website bauen, einen Online-Shop ins Leben rufen: Bis spät in die Nacht wurde an dem neuen Business gefeilt. Und das habe sich gelohnt: Schon nach wenigen Monaten am Markt hatten sie viel mehr Geburtslöffel verkauft, als sie vermutet haben, und auch auf Instagram erreichten sie mit ihrer Idee mehrere tausend Menschen. „Mal geht eine Tür zu und eine andere auf. Wir sind durch diese neue Tür gegangen und sind froh, dass wir es getan haben.“
In der ersten Jahreshälfte 2020 gab es in Schleswig-Holstein insgesamt 1758 Neugründungen. „Grundsätzlich beobachten wir, dass es durch Corona eine kurze Phase des Schocks und der Neuorientierung auch bei den Gründungsinteressierten gab. Die Nachfrage nach Gründungsberatung ist jedoch schnell wieder angestiegen und bewegt sich nach unserer Einschätzung mindestens auf dem Vorjahresniveau. Denn es zeigt sich: Eine gute Idee ist eine gute Idee – Corona hin oder her. Wobei je nach Branche – beispielsweise in der Gastronomie – geprüft werden sollte, ob eine Verschiebung des Vorhabens machbar und sinnvoll ist“, sagt Dr. Julia Körner, Gründungsexpertin der IHK zu Kiel.
Gerade wer jetzt gründe, täte dies in der Regel nicht aus einer Laune heraus, sondern habe schon länger darüber nachgedacht, so Körner. Daher würden die meisten Gründer eine gut durchdachte Idee mit einer realistischen Chancen- und Risikenabwägung mitbringen. „Besonders in diesen Zeiten ist es wichtig, das eigene Geschäftsmodell objektiv zu beleuchten, und kritisch zu hinterfragen, wie relevant es kurz-, mittel- und auch langfristig sein wird. Denn diese Krise hat auch strukturelle Veränderungen mit sich gebracht beziehungsweise deutlich gemacht. Oft haben die Gründerinnen und Gründer erfolgreich Nischen – die teilweise erst in der Krise deutlich geworden sind – und deren Möglichkeiten ausgemacht.“
Restaurant in Corona-Zeiten gründen
Eine Branche trifft die Pandemie besonders hart: die Gastronomie. Restaurants und Cafés gehörten zu den ersten, die im März vergangenen Jahres dicht machen mussten. Doch genau in dieser Zeit wollten die beiden Kielerinnen Jessica Froese und Sonja Lugowksi ihren Traum vom eigenen Lokal endlich verwirklichen – und taten es auch. Das Donnerlüttchen – wie die zwei jungen Frauen ihr „Baby“ getauft haben – sollte die Landeshauptstadt um ein Restaurant mit regionalen Spezialitäten reicher machen. Ihre Vision: In Vergessenheit geratene Gerichte wiederaufleben lassen und modern interpretieren. „So ein richtig typisch norddeutsches Restaurant fehlte uns in Kiel. Deshalb wollten wir diese Lücke füllen“, sagt Sonja Lugowksi, die bereits als Köchin in Hamburg gearbeitet hat. Ihre langjährige Freundin Jessica Froese hat eigentlich Lehramt studiert und wollte nun „endlich etwas Eigenes auf die Beine stellen“. Von der ersten Schnapsidee eines eigenen Restaurants bis hin zum konkreten Businessplan und der erfolgreichen Suche nach einer passenden Immobilie dauerte es zwei Jahre. Dass ihnen eine weltweite Pandemie dazwischenkommen würde, konnte keiner auch nur erahnen.
Regionale norddeutsche Küche in Kiel
Am 1. März 2020 gab es die Schlüssel für die Räumlichkeiten des Donnerlüttchens im Knooper Weg. Zwei Wochen später dann der Lockdown. „Ganz ehrlich? Das war erstmal ein heftiger Schlag ins Gesicht“, so Froese. Zwar sollte es zunächst ans Renovieren gehen und das Restaurant erst zu Ostern eröffnen, doch die Handwerker blieben aufgrund von Covid-19 fern. Auch die Besorgungen im Baumarkt wurden zu einer Mammutsaufgabe mit Blick auf die meterlangen Schlangen, da alle plötzlich Haus und Hof renovieren wollten. „Teilweise mussten wir viermal am Tag in den Baumarkt, weil immer mal wieder was fehlte. Das war schon ein Akt“, erinnern sich die zwei. Also hieß es: Selber anpacken und den Laden auf Vordermann bringen. Ein Rückzieher kam für sie nicht infrage. „Wir wollten das Durchziehen – auch wenn es deutlich schwieriger sein würde, als wir dachten.“
Dass sie die Fensterscheiben an dem Eckhaus nicht verdeckten und die Vorbeigehenden beobachten konnten, wie die zwei Frauen alles alleine machten, kam ihnen zugute. Neugierige Blicke und Gespräche mit den Passanten machten sie schnell in der Umgebung bekannt – und auch die sozialen Medien halfen dabei, ihr Lokal auch vor der Eröffnung den Kielern bereits zu zeigen.
Mit den Lockerungen im Frühjahr durften dann auch am 23. Mai die ersten Gäste kommen: eine kleine aber feine Eröffnung ihres Lokals. Zwar sei es für die Inhaberinnen ein besonderer Tag gewesen, doch eigentlich hatten sie sich alles ganz anders vorgestellt. „Das sollte doch der beste Tag in unserem Leben werden – der Beginn von unserem Lebensprojekt. Doch anstatt den ganzen Tag vor Vorfreude Luftsprünge zu machen und eine große Party zu feiern, mussten wir uns mit Zollstock und Abstandsmarkierungen rumschlagen.“ Dennoch: Sie konnten endlich loslegen. Zumindest bis zum nächsten Lockdown. „Das war für uns schon eine sehr nervenaufreibende Zeit. Wir wollten nichts falsch machen. Die Unsicherheit war groß, denn zu der neuen Herausforderung, ein Restaurant zu führen, kamen noch die ganzen Auflagen, die sich immer wieder änderten“, erzählt Froese. Mit dem zweiten Lockdown ging es dann vor allem auch um die Frage der Hilfen. Denn schließlich wurde dafür das vorherige Geschäftsjahr angeschaut – welches die zwei Jungunternehmerinnen noch nicht hatten. „Wir waren in Sorge, durch das Raster zu fallen. Doch es wurde sich dann unser letzter Monat angeschaut, sodass wir doch noch Unterstützung bekommen haben.“
Seitdem verkaufen die beiden Frauen ihre regionalen Gerichte am Fenster im Knooper Weg. Zumindest ein wenig Einnahmen haben und präsent bleiben: Das sei gerade für ein neu eröffnete Restaurant enorm wichtig. Doch eine Dauerlösung sei dies natürlich auch nicht: „Wir setzen bei unserem Konzept auch auf den engen Kontakt mit den Gästen. Das kann man am Fenster nicht leisten.“
Veranstaltungsbranche trifft Krise besonders hart
Der Veranstaltungsbranche hat das Jahr 2020 ebenfalls einen gewaltigen Strich durch die Rechnung gemacht. Für die selbstständige Eventplanerin und Dekorateurin Nina Rubin, die von Hochzeiten, Firmenfeiern und Co. lebt, eine Katastrophe. Hinzukommt, dass sich die 43-Jährige Inhaberin der Eventwerkstatt gerade erst mit Beginn des Jahres 2019 dazu entschieden hatte, die Alte Mühle in Dänischenhagen bei Kiel zu übernehmen. Lagerräume, eine Location für Trauungen sowie Workshops und einen Showroom für ihre Deko-Konzepte: All das sollte das historische Gebäude wieder neu aufleben lassen. Doch da die Räumlichkeiten noch so viel mehr Potenzial bieten und sie die wegbrechenden Einnahmen ein wenig ausgleichen wollte, entschloss sie sich kurzerhand dazu, auch einen eigenen Laden im Erdgeschoss zu eröffnen. Seit Ende Oktober verkauft sie in ihrem „Concept Store“ Wohnaccessoires, Blumendekoration und kleiner Möbelstücke – auch von regionalen und nachhaltigen Anbietern. „Wäre 2020 ein normales Jahr gewesen, hätte ich dieses Herzensprojekt nicht umsetzen können. Für das Konzept, Renovierung und Co. wäre weniger Zeit gewesen. Natürlich war das letzte Jahr auch für mich hart, doch ich habe für mich das Beste rausgeholt und meinen langjährigen Traum einer eigenen Location umgesetzt. Die ersten Trauungen haben hier sogar schon stattfinden können. Dass ich mich aus der Not heraus dazu entschlossen habe, den Laden zu eröffnen, ist noch ein zusätzlicher Pluspunkt.“
Der Beitrag ist zuerst erschienen im Januar 2021 im Journal des sh:z.
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