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Schleswig-Holstein

Arche Warder: Lebendiges Museum der alten Haustierrassen

Mit lautem Geschnatter machen sich die Enten auf in Richtung Brotkrümel, die an der Wasseroberfläche treiben. Doch sie sind nicht die einzigen Schwimmer in diesem Teich, das Futter ist hart umkämpft. Drei Schweine verlassen schlagartig ihr schattiges Plätzchen unter den Bäumen und schwimmen grunzend und röchelnd zur Mitte des Teiches, wo sie gierig nach dem Brot schnappen. Die Enten machen ihnen Platz. Immerhin konnten sie sich eins zwei Happen sichern, bevor die schwarz-gefleckten Tiere die Mitte des Teiches erreicht hatten. Wer schwimmende Schweine sehen möchte, braucht nicht erst auf die Bahamas fliegen. Denn hier im 650-Seelen Ort Warder sind die sogenannten Turopolje-Schweine zu Hause. Sie sind nur eine der 86 alten Haus- und Nutztierrassen, die im Tierpark Arche Warder geschützt werden.

Alte Haustierrassen schützen

Der 40 Hektar große Park ist eine Art lebendiges Museum, das die Rolle der Nutztiere für die kulturelle Entwicklungsgeschichte des Menschen anschaulich vermittelt und sich als modernes Naturschutz- und Bildungszentrum versteht. Artgerechte Haltung trifft hier auf Naturidylle. Ästhetik auf Nachhaltigkeit. Erhaltungszucht auf Pädagogik und Wissenschaft. Mit diesem Konzept ist die Arche Warder einzigartig. „Es gibt in ganz Europa nichts Vergleichbares“, ist Parkchef Prof. Dr. Dr. Kai Frölich stolz auf das Alleinstellungsmerkmal. Nirgendwo gibt es so viele alte Haus- und Nutztierrassen an einem Ort wie hier am Rande des Naturparks Westensee. 

Die Turopolje-Schweine sind die heimlichen Favoriten des Direktors. Sie stammen aus den Save-Auen, einem Überschwemmungsgebiet in Kroatien. Die Tiere haben sich an die Bedingungen optimal angepasst und sind daher ausgezeichnete Schwimmer. Nicht selten tauchen sie nach Wasserpflanzen oder sogar Muscheln. Gleich hinter ihrem Badeteich treffen die französischen Poitu-Esel – die schwerste Eselrasse der Welt – auf die sogenannten Exmoor Ponys. Die englischen Tiere sind die älteste keltische Rasse und mit ihrem dichten Fell besonders wetterfest. Selbst Schnee bleibt auf ihrem Rücken einfach liegen, Regen wird vom Deckhaar problemlos abgeleitet. Nach dem zweiten Weltkrieg wären die Exmoor Ponys beinahe ausgestorben. Nur 50 dieser Tiere blieben übrig und sicherten den Neubeginn der Zucht.

Schweineland im Tierpark Arche Warder

Über eine weiße Holzbrücke geht es ins Schweineland, wo weitere selten gewordene Rassen in artgerechter Haltung von ganz nahe beobachtet werden können. Das Angler Sattelschwein zum Beispiel, welches in den 50er-Jahren noch 60 Prozent der Zuchtschweine in ganz Schleswig-Holstein ausmachte und inzwischen zu den stark gefährdeten Rassen zählt. Durch das veränderte Konsumverhalten und dem Wunsch nach magereren Schweinen sank der Bestand dieser schwarz-weiße Rasse von der Halbinsel Angeln enorm. Auch das Schwedische Linderöd wurde durch andere Rassen verdrängt, genauso wie das Bunte Bentheimer Schwein mit seinen markanten Schlappohren, das in den 60er-Jahren bereits als ausgestorben galt – der Park sichert den Bestand all dieser bedrohter Rassen.  

Mehr als 1200 Tiere gehören zur Arche Warder. Dabei sind längst nicht alle im Park selbst untergebracht. 60 Prozent der Tiere leben auf den Außenflächen. Auf einem Hof in Hessen zum Beispiel sind Englische Parkrinder zu Hause und eine Herde Skudden – die zu den ältesten Hausschafrassen gehört – ist am Wikingermuseum in Haithabu zu finden. Die Betreuung der Außenflächen stelle dabei eine enorme logistische Herausforderung dar, so Parkchef Frölich. Gleichzeitig sei die regional getrennte Haltung für die Erweiterung der genetischen Vielfalt und zum Schutz im Falle einer Tierseuche unerlässlich.

Rind im Tierpark Arche Warder

Nutztierrassen haben sich den Bedingungen angepasst

Für den Tierarzt und Biologen ist die Erhaltung der alten Rassen eine Lebensaufgabe. Er will sie schützen und gleichzeitig das Wissen über die Tiere an die Besucher weitergeben. Die heutigen Haustiere gehen aus einer Vielzahl von Wildtierarten hervor: Aus dem Wolf wurde der Hund, aus der Bezoarziege die Hausziege, aus dem asiatischen Mufflon das Hausschaf oder aus dem Auerochsen das Hausrind. Ihre Domestikation hat die Entwicklung der Menschen entscheidend verändert. Im Laufe der Jahrhunderte ist eine Vielzahl an Nutztierrassen entstanden, die sich optimal an die Bedingungen ihrer Umwelt angepasst haben.

Diese einzigartige kulturhistorische Errungenschaft muss für zukünftige Generationen bewahrt werden.

Arche Warder Parkchef Prof. Dr. Kai Frölich

Mit der Leitung des Parks hat er seinen Traum verwirklichen können. „Ich wollte schon immer Zoodirektor werden“, sagt Frölich. Vor mehr als zehn Jahren hat er den Park übernommen und ein völlig neues Konzept umgesetzt. Er wollte aus der Anlage viel mehr als einen gewöhnlichen Tierpark machen. Drei Millionen Euro nahm er für die Umbaumaßnahmen in die Hand und setzte neben der artgerechten Umgebung für die Tiere auch auf eine ästhetische Landschaftseinrichtung. Mit den weißen Holzbrücken, japanischen Kirschblüten und Sitzgelegenheiten zum Verweilen bietet die Anlage einen Raum der Entschleunigung.

Es ist eine Art Spaziergang, der immer wieder Gelegenheiten zum Innehalten bereithält und dabei Wissen über die alten Kulturgüter vermittelt sowie das Bewusstsein für die Erhaltung der Rassen weckt. Dieses Konzept scheint aufzugehen. Die Besucherzahlen haben sich seit der Parkübernahme durch Frölich auf inzwischen 85.000 Gäste fast verdoppelt.

Greenpeace setzte sich für den Park ein

Dabei sah die Zukunft des Parks in der Vergangenheit noch sehr düster aus. Der vorherige Leiter konnte die Verluste des Betriebs nicht mehr stemmen, er musste Insolvenz anmelden. Im Laufe des Verfahrens meldete sich jedoch Greenpeace, um dieses einzigartige Projekt zu retten. Der neue Verein „Arche Warder – Zentrum für alte Haus- und Nutztierrassen“ wurde 2003 gegründet und entsprechend finanziell ausgestattet. Frölich ist seit 2007 an Bord der Arche.

Artenschutz sichern

Das Bewusstsein für die Landwirtschaft liege ihm dabei ebenso am Herzen wie der Artenschutz. Mit dem Park möchte er die Menschen zum Nachdenken anregen und sie für den bewussten Umgang mit Natur und Tier sensibilisieren. Mit Blick auf die aktuellen landwirtschaftlichen Entwicklungen sei dies ein enorm wichtiges Ziel. „Wir können so nicht weitermachen. Wir brauchen einen neuen Ansatz der industriellen Landwirtschaft. Wir brauchen ein Umdenken in der Gesellschaft“, ist er überzeugt. Ein Großteil der traditionellen Landrassen wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von den aufkommenden Leistungsrassen verdrängt. Daher dominieren in der modernen Landwirtschaft heute nur noch wenige, einseitig spezialisierte Rassen oder Kreuzungen.

Ziege im Tierpark Arche Warder

Vorteile der Nutztierrassen

Viele aber wüssten gar nicht, welche Vorteile die alten Nutztierrassen mit sich bringen. Die Stärke dieser Tiere liegt vor allem in ihrer Angepasstheit. Sie sind deutlich robuster, benötigen keine hochtechnisierten Ställe und sind gegenüber Witterungseinflüssen besonders widerstandsfähig. So können sie auch den Herausforderungen des Klimawandels begegnen. Die Massentierhaltung dagegen halte mit ihren hochgezüchteten Rassen deutlich anfälligere Tiere vor und verbrauche sehr viele Ressourcen, erklärt Frölich. „Die Tiere alter Rassen geben zwar weniger Milch und erreichen bei Weitem nicht das Gewicht der Hochleistungstiere. Doch ihre Produkte sind dafür von sehr hoher Qualität. Denn den Tieren wird Zeit gelassen, um ihre natürlichen Reifeprozesse zu durchleben.“

Der Vorteil der robusten, alten Schweinerassen im Park gegenüber neueren Züchtungen wurde bereits in einer Doktorarbeit belegt. Die Wissenschaft spielt in der Arche Warder eine entscheidende Rolle. Daher hält der Park Kooperationen zu zahlreichen Universitäten und anderen wissenschaftlichen Einrichtungen. Allein in den vergangenen Jahren wurden drei Doktorarbeiten in Warder begleitet, sowie zahlreiche weitere wissenschaftliche Arbeiten verfasst. Die Publikationen schaffen dabei vor allem eines: Den alten Rassen eine Bedeutung zuzuschreiben, die ihnen gerecht wird.

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