Als ich am Wanderparkplatz in Exhöft aus dem Auto steige, liegt noch eine sanfte Stille über der Halbinsel Maasholm. Nur die Rufe der Kraniche in der Ferne begleiten diesen frühen Nachmittag. Jan Blanke vom Naturpark Schlei e.V. wartet bereits – und mit ihm ein Rundweg, der nicht nur landschaftlich überrascht, sondern auch tief blicken lässt in das, was diese Region prägt und zugleich herausfordert: den Wandel.
Heute wollen wir einen der neuen digitalen Themenpfade im Naturpark Schlei erkunden. Klassische Lehrpfade kennt man mit ihren großen Holztafeln und ausführlichen Texten. Doch hier läuft es anders: Die App des Naturparks eröffnet an verschiedenen Punkten entlang des Weges kleine Wissensinseln. Manche von ihnen beinhalten kleine Rätsel, andere Augmented-Reality-Momente, die plötzlich ein Tier auf dem Display auftauchen lassen. Ein analoger Spaziergang, der digital weiterdenkt. Das passt erstaunlich gut zu einem Pfad, der sich dem Begriff „Wandel“ widmet.

Ein Begrüßungskommando aus Wildgänsen
Schon am ersten digitalen Stopp erwartet uns ein Anblick, der mich sofort innehalten lässt: Eine große Schar Weißwangengänse zieht in Formation über uns hinweg und setzt kurz darauf elegant auf der feuchten Wiese neben dem Weg auf. Ein Begrüßungskommando aus hunderten Wildvögeln, wie man es schöner kaum inszenieren könnte. Während die Tiere schnatternd das saftige Grün genießen, verrät mir die App, worauf wir gerade eigentlich schauen: eine typische Niederung, also ein besonders flaches, nasses Gebiet, das weniger als zweieinhalb Meter über dem Meeresspiegel liegt.





Zwischen Abendlicht und Fragen des Hochwasserschutzes
Wir setzen unseren Weg fort. Das Gänsegeschnatter bleibt ein leiser Hintergrundchor, während die Sonne tiefer sinkt und ein warmes, goldenes Licht auf Wiesen, Weiden und Wälder legt. Die Oberfläche der Wasserläufe spiegelt so ruhig, dass man meint, die Landschaft halte für einen Moment die Luft an. In der Ferne könnte man im Sommer die Masten der Segelboote auf der Schlei entdecken, doch jetzt im Winter ist kaum ein Schiff mehr in Sicht.
Auf einer der nächsten Stationen stoßen wir auf das Thema Hochwasserschutz. Auch wenn die Schlei an diesem Tag friedlich vor uns liegt, wissen die Menschen hier, wie stark Sturmfluten und steigende Wasserstände an der flachen Küstenlinie nagen können. Viele der sogenannten Regionaldeiche sind langfristig zu niedrig. Daher müssen neue Ideen und Konzepte her, um die Orte entlang der Ostsee in Zukunft besser zu schützen.
Aussicht vom Hegeberg: ein Farbspiel wie gemalt
Der Pfad führt uns schließlich hinauf auf den Hegeberg, eine kleine zunächst unspektakulär anmutende Erhebung – bis man oben steht. Der Blick öffnet sich weit über die Schlei, hinüber zu den Häusern am kleinen Hafen und über das Mosaik aus Schilf, Wasser und Wiesen. Das Blau der Schlei trifft hier auf die Beige- und Grüntöne der Landschaft. Es ist ein Zusammenspiel, das wirkt, als hätte jemand eine besonders harmonische Farbpalette über diese Halbinsel gelegt. Jan reicht mir das Fernglas. Auf der Landzunge im Naturschutzgebiet Schleimünde erkenne ich eine Herde Rinder. Sie stehen nicht zufällig dort, sondern leisten aktive Landschaftspflege, indem sie die offenen Flächen freihalten. 700 Hektar umfasst das Naturschutzgebiet, das einen wertvoller Lebensraum für zahlreiche Wasservögel bietet. Doch auch hier ist Wandel spürbar: Häufigere Überschwemmungen verändern das Gebiet. Erste Ideen von künstlichen Nistmöglichkeiten wie schwimmende Flöße sind daher aktuell im Gespräch.


„Auch die Fischerei ist Thema auf diesem Pfad“, erklärt Jan, als ich beim Weg am Ufer entlang einen Kormoran auf dem Steg entdecke. Ein Bild, das gleichzeitig Hoffnung und Konflikt in sich trägt. Denn die Tierwelt an der Schlei hat sich in den vergangenen Jahren positiv entwickelt: Seeadler kehren zurück, Fischotter zeigen sich wieder häufiger, Kormorane sind längst keine Seltenheit mehr. Ein gutes Zeichen für die Natur. Doch genau das führt zu einem Spannungsfeld, das die Region seit Jahrzehnten begleitet. Während die Tierwelt zurückkehrt, sinken die Fischbestände weiter. Berufsfischer, die hier seit Generationen arbeiten, spüren das deutlich: Es gibt weniger Aal, weniger Hering, weniger von vielen Arten, die früher selbstverständlich waren. Die Gründe sind vielfältig, erfahre ich aus der App: Klimawandel, höhere Wassertemperaturen, Überfischung in früheren Jahrzehnten und Nährstoffeinträge aus der Landwirtschaft verändern die Lebensbedingungen im Wasser. Die zurückgekehrten Kormorane sind zusätzliche Nahrungskonkurrenten. Alles greift ineinander und jedes Rädchen im System beeinflusst die anderen.
Wenn die Gänse schlafen gehen
Während wir den letzten Abschnitt des Rundwegs zurücklegen, färbt sich der Himmel über der Schlei orange. Die Schar der Weißwangengänse hat inzwischen den Platz gewechselt und sich auf dem Wasser niedergelassen. Dicht an dicht gleiten sie über die ruhige See. „Ein natürlicher Schutzmechanismus“, erklärt Jan, denn auf dem Wasser sind sie sicherer vor Land-Prädatoren, wie z.B. dem Fuchs, der hier regelmäßig jagt. Nach etwa zwei Stunden endet unser Rundweg. Sechs Kilometer, die nicht nur beeindruckend schön waren und den Kopf frei werden lassen, sondern die einen deutlich spüren lassen, wie verletzlich und lebendig diese Landschaft ist. Das zeigt einmal mehr, wie wichtig es ist, ihren Wandel aktiv zu gestalten.





Der Naturpark Schlei
Der Naturpark Schlei erstreckt sich rund um den gleichnamigen Meeresarm und gilt als einer der artenreichsten Räume Schleswig-Holsteins. Die besondere Mischung aus Süß-, Brack- und Salzwasserzonen schafft Lebensräume, die es sonst nirgendwo im Land gibt. Seit 2008 engagieren sich 39 Städte und Gemeinden im Naturpark-Verein dafür, diese einzigartige Kulturlandschaft zu schützen und zugleich erlebbar zu machen. Das Team des Naturpark Schlei e.V. arbeitet an Projekten in den Bereichen Umweltbildung, Naturschutz, nachhaltiger Tourismus und regionaler Wertschöpfung. Der Naturpark Schlei wurde zum „Qualitäts-Naturpark“ ausgezeichnet vom Verband Deutscher Naturparke.
Themenpfade
Es gibt noch zwei weitere Themenpfade im Naturpark Schlei zu entdecken. Neben „Wandel an der Schlei“ gibt es die Routen „Tiere und Pflanzen am Schleiufer“, der in der Nähe von Fleckeby startet sowie den Themenpfad „Gewässer“ mit Startpunkt bei Ulsnis.
Zum Download der App des Naturparks Schlei Google Playstore oder Apple Appstore



